TV-Tipp: 02.03.10 – ZDF, 21:00 Uhr – Frontal 21
Milliardenloch im Schwabenland – Der Superbahnhof von Stuttgart
Das Projekt “Stuttgart 21″, der Neubau des Stuttgarter Hauptbahnhofs, könnte zum Milliardengrab für die Steuerzahler werden, befürchten Experten. Der Bundesrechnungshof kritisiert eine Finanzierungslücke von fast 2,5 Milliarden Euro. Nach Recherchen von Frontal21 sind die Berechnungen der obersten Rechnungsprüfer den Verantwortlichen von “Stuttgart 21″ bisher unbekannt.
Viele Stuttgarter Bürger protestieren auf Montagsdemonstrationen gegen “Stuttgart 21″. Das ehrgeizige und teure Projekt von Bahn und Befürwortern aus Politik und Wirtschaft sei unnütz und zu teuer. Laut Bundesrechnungshof fehlen 1,2 Milliarden Euro für die Finanzierung des Bahnhofsprojekts selbst und weitere 1,2 Milliarden für eine angeschlossene Hochgeschwindigkeits-Neubaustrecke über die Schwäbische Alb nach Ulm.
Der historische Stuttgarter Kopfbahnhof mit seinen 16 Gleisen soll einer unterirdischen Durchgangsstation mit acht Bahngleisen weichen. Darüber entsteht auf 100 Hektar eine hypermoderne City aus Glas, Stahl und Beton. Der langjährige ehemalige Chef des Stuttgarter Hauptbahnhofs, Egon Hopfenzitz, sieht für die Bahn selbst mehr Nachteile: “Rechts ein Tunnel, links ein Tunnel, bei Störungen und Unfällen ist das alles in der Tiefe nicht mehr beherrschbar.”
Tatsächliche Baukosten liegen viel höher
Während Bahnspitze und Stuttgarter Prominenz schon den Start feierten, erregen sich viele Stuttgarter gegenüber Frontal21 über den Bau. Angesichts leerer Kassen sei das eine “komplette Verantwortungslosigkeit der Politiker”. Ein anderer Projektgegner sieht die Demokratie mit Füssen getreten. Denn 72 Prozent der Stuttgarter Bürger und über 60 Prozent der Einwohner Baden-Württembergs seien gegen den Neubau.
Bei Planungsbeginn 1995 wurden Baukosten von 2,5 Milliarden Euro berechnet. Doch der tatsächliche Finanzbedarf werde weit überschritten, behauptet der Stuttgarter Architekt Roland Ostertag im Interview mit Frontal21:” ‘Stuttgart 21′, augenblicklich von der Bahn mit 4,1 Milliarden angegeben, wird bestimmt – wir haben sehr seriös, korrekt und gründlich gerechnet – auf über acht Milliarden bei der Fertigstellung 2020 kommen.”
Bundesrechnungshof wird ignoriert
Eine ähnliche Entwicklung gab es bereits beim Bau des neuen Berliner Hauptbahnhofs; auch dort liefen die Kosten aus dem Ruder. Projektleiter für die Bahn in Berlin war Hany Azer. Er führt nun auch in Stuttgart wieder Regie. Für die errechneten Baukosten verbürgen will er sich im Interview mit Frontal21 nicht: “Wissen Sie, das Wort ‘verbürgen’ ist nicht so gut.” Auch den Rechnungshofbericht, der das Finanzierungsdefizit beschreibt, will er noch nicht gelesen haben.
Frontal21 konfrontierte in Stuttgart auch den Vorstandsvorsitzenden der Bahn, Rüdiger Grube, mit dem Bericht des Bundesrechnungshofes. Auch Grube wollte den Bericht nicht kennen. Der Bahnchef zu Frontal21: “Wir haben 4,088 Milliarden jetzt veranschlagt, der Gesamtrahmen sind 4,526 Milliarden. Und ich werde alles machen, dass wir in diesem Rahmen bleiben.”
Steuerzahler tragen Großteil der Kosten
Laut Bundesrechnungshof verdient die Bahn durch Grundstücksverkäufe am Hauptbahnhof 1,4 Milliarden Euro, zahle aber selbst für das Projekt nur 1,1 Milliarden. Auch dazu gab sich Grube ahnungslos: “Ich weiß gar nicht, wo sie diese Papiere her haben. Die 1,4 Milliarden habe ich noch nie gehört.”
Der Bundesrechnungshof kritisiert zudem, dass der Bund den größten Teil der Kosten zu tragen hat. Entscheidungen über “Stuttgart 21″ hätte somit der Bundestag treffen müssen. Beschlossen aber wird über das Projekt in Baden-Württemberg. Es sei ein Netzwerk der Profiteure, sagt Gangolf Stocker vom parteifreien Bündnis SÖS (Stuttgart Ökologisch Sozial) im Interview mit Frontal21:” Wir nennen dieses Netzwerk ‘Stuttgart 21-Kartell’. Dazu gehört die Wirtschaft, dazu gehört die Politik, dazu gehört natürlich auch die Verkehrswissenschaft.”
Netzwerk der Profiteure
Um das umstrittene Projekt zu unterstützen, gründete sich ein so genannter Kommunikationsbeirat, ein Netzwerk aus Politik und Wirtschaft. In diesem Beirat sitzen unter anderem “Stuttgart 21″-”Botschafter” Wolfgang Drexler (SPD), Vizepräsident im baden-württembergischen Landtag, und Ex-Ministerpräsident Lothar Späth (CDU). Der ist heute Aufsichtsratschef beim Tunnelbohrmaschinen-Hersteller Herrenknecht. Das Unternehmen wiederum hat 70.000 Euro an die CDU gespendet und erhofft sich Aufträge durch “Stuttgart 21″. Im Beirat ist auch Ex-Ministerpräsident Oettinger (CDU). Er hat kürzlich der Stuttgarter Immobilien-Größe Rudi Häussler das Bundesverdienstkreuz angeheftet. Auch Häussler sitzt im Beirat für “Stuttgart 21″. Und bei Häussler war Bahnchef Rüdiger Grube vor Jahren geschäftsführender Gesellschafter.
Den Baubeginn von “Stuttgart 21″ feierten die Netzwerker von Politik und Wirtschaft als geschlossene Gesellschaft unter sich. Die empörten Stuttgarter Bürger werden weiter gegen das Projekt protestieren.